Ab ins Homeoffice – zurück an den Arbeitsplatz und dann bitte nochmal von vorn. Die ständigen Veränderungen um uns herum nehmen Einfluss auf unseren gewohnten Rhythmus. Die Arbeitsmedizinerin und Internistin Dr. med. Cornelia Ott erklärt, inwiefern sich störende Einflüsse auf unsere innere Uhr ungünstig auf unseren Körper und Geist auswirken und gibt Tipps, wie wir dennoch nicht aus dem Takt kommen.
myCompetence: Cornelia, Deine Aufgabe als Arbeitsmedizinerin ist es, Krankheiten vorzubeugen damit wir bis ins hohe Alter gesund und fit bleiben. Inwiefern spielt dabei unser Biorhythmus eine Rolle?
Der Wissenschaftszweig der Chronobiologie untersucht die biologischen
Rhythmen, denen Lebewesen unterliegen. Unsere „Master-Clock“ kontrolliert
circadiane Rhythmen und befindet sich in unserem Gehirn oberhalb der Kreuzung
der Sehnerven. Spezialisierte Sinneszellen im Auge informieren diese innere
Uhr über äußere Lichtverhältnisse. Danach richten sich dann die vielen Uhren
in unseren Zellen, die wichtige Funktionen unseres Körpers wie
Wachsein/Schlafen, Essen/Verdauen und Bewegen/Regenerieren beeinflussen.
Problematisch
wird es, wenn unser Körper entgegen seines inneren Rhythmus Leistung erbringen
muss. Dies erfordert viel Anstrengung und führt zu einer erhöhten Ausschüttung
von Stresshormonen. Das bedeutet: Wenn wir durch ständige Veränderungen immer
wieder aus dem Takt kommen, sind wird dauerhaft gestresst. Über die Zeit wirkt
sich dies negativ auf unsere Gesundheit aus und kann zu Infektanfälligkeit,
Depression, Stoffwechsel-, Herz-Kreislauferkrankungen und anderen führen.
myCompetence: Home-Office kann krankmachen – gibt es einen direkten Zusammenhang mit unserer inneren Uhr?
Im Prinzip alle Einflüsse, die uns in unserem natürlichen Fluss stören. Und damit meine ich nicht nur Schichtarbeit, die uns quasi permanent in eine Art Jetlag Zustand versetzt. Wir unterscheiden Chronotypen, die ehemals als Frühaufsteher oder Nachtaktive benannt wurden. Unter Chronotypen werden jedoch auch Merkmale, die unser Leistungsvermögen oder unseren Hormonspiegel betreffen, zusammengefasst. Und je nach Chronotyp unterscheiden sich diese eben von Mensch zu Mensch zu verschiedenen Tageszeiten aufgrund der jeweiligen inneren biologischen Uhren. Die zusätzliche Erkenntnis, dass unser Chronotyp genetisch festgelegt ist und nicht mit Bequemlichkeit gleichzusetzen ist, hilft uns dabei, unsere Arbeitsabläufe zu überdenken.
Gehören Sie nicht wie 70% der Deutschen zum normalen Chronotyp und wachen von
selbst zwischen 6 und 7 Uhr auf, kann uns bereits der Wecker an einem normalen
Arbeitstag aus den Takt bringen. Das geht dann weiter mit ungünstig getakteten
Meetings ohne Mittagspause oder Arbeitseinheiten am Abend unter künstlichem
Licht. Solche Störungen unseres inneren Gleichgewichts können langfristig
neben Schlafstörungen auch gesundheitliche Folgen mit sich bringen.
myCompetence: Haben Mahlzeiten auch eine Auswirkung auf unseren Biorhythmus?
Neben dem was wir essen trägt tatsächlich auch das wann eine wichtige Rolle zur Stabilisierung unserer inneren Uhren bei. Eine drei bis vierstündige Essenspause vor dem Schlafengehen verhindert unangenehmes Völlegefühl und bessert Sodbrennen oder eine gestörte Schlafarchitektur. Mit ein wenig Übung können sie diese Essenspause bis zum Intervallfasten mit der 16:8 Methode ausweiten, sodass Sie nur noch über acht Stunden am Tag Nahrung zuführen. Neben der Entlastung des Verdauungsapparates unterstützen Sie hierdurch zellreinigende Prozesse im Sinne von Anti-Aging, Gewichtsverlust und Ausschüttung von Wachstumshormonen.
myCompetence: Gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, ob das Gleichgewicht meiner inneren Uhren gefährdet ist?
Ja, die Herzratenvariabilität. Diese kann einfach über einen speziellen Brustgurt mit Sensor gemessen werden. Schlägt unser Herz nämlich zu gleichmäßig, fehlt die Balance zwischen dem stimulierenden (Sympathikus) und entspannenden (Parasympathikus) Anteil unseres vegetativen Nervensystems. Leider können wir unser vegetatives Nervensystem nicht bewusst wie einen Muskel ansteuern. Somit kann uns die Herzratenvariabilität wie ein Kompass zur Seite stehen und uns rückmelden, welche Aktivitäten sich förderlich oder ungünstig auf unseren Biorhythmus auswirken.
myCompetence: Hast Du einfach umzusetzende Tipps, um unsere inneren Uhren zu unterstützen?
Entspannungsübungen verhindern eine Überstimulation des Sympathikus. Diese sind auch während eines eingebundenen Arbeitsalltags innerhalb weniger Minuten umzusetzen. Hierfür können Kältereize (kalte Dusche, Laufen an frischer Luft), singen, lachen, Achtsamkeitsübungen oder Tai-Chi eingesetzt werden. Versuche doch noch heute folgende einfache Atemübung, die für jeden geeignet ist: Konzentriere Dich im Liegen oder einer entspannten Position nur auf Deinen Atem. Atme aus und lege dann eine Atempause ein. Wiederhole dies ein paar Mal. Dein aktivierter Parasympathikus regeneriert sich vor der nächsten Arbeitsphase.
myCompetence: Welche Chancen siehst Du für die Arbeitswelt durch Erkenntnisse aus dem Forschungsfeld der Chronobiologie?
Ob Gleitschicht, innovative Beleuchtungskonzepte, Umsetzung von Mikropausen
und Entspannungsübungen oder Walking Meetings an der frischen Luft – alle
helfen den Mitarbeitern dabei, ihren zirkadianen Rhythmus zu stabilisieren. In
der Medizin wird beispielsweise im Rahmen von Studien der persönliche
Chronotyp bestimmt, um den perfekten Zeitpunkt für eine Medikamentengabe
herauszufinden. Somit könnte uns die Chronobiologie auch zukünftig innovative
Ansätze für mehr Balance in einer arbeitsverdichteten Berufswelt liefern.
Die Internistin Dr. med. Cornelia Ott ist betriebsärztlich tätig bei der AMD
TÜV Arbeitsmedizinische Dienste GmbH von TÜV Rheinland. Neben ihren Aufgaben
im Arbeits- und Gesundheitsschutz zählt die betriebliche Gesundheitsförderung
zu ihren Schwerpunkten. Als Ernährungsmedizinerin (DAEM/DGEM) hält sie in
Betrieben fachspezifische Vorträge, nimmt an Gesundheitsaktionen teil und
berät in persönlichen Gesprächen zu den Themen Ernährung und gesunder
Lebensstil.