In der aktuellen Situation schicken viele Arbeitgeber*nnen - sofern möglich - ihre Teams ins Homeoffice. Für viele ist diese Form der Zusammenarbeit vollkommen neu und somit steht auch das Teamwork vor neuen Herausforderungen.
Die Psychologin Stefanie Nüßlein erklärt in unserem Interview, worauf es ankommt und gibt praktische Tipps an die Hand für mehr Erfolg in der Gestaltung von Homeoffice.
myCompetence: Stefanie, Homeoffice ist für einige Mitarbeiter*innen und Teams eine völlig ungewohnte Situation. Was sind die häufigsten Probleme?
Als Arbeits- und Organisationspsychologin erhalte ich im Moment viele Anfragen von Mitarbeiter*innen, die über verschiedene Probleme berichten – gerade, wenn sie zum ersten Mal von Zuhause aus arbeiten: Nach der anfänglichen Euphorie kam oft das Down.
Denn kein passender Arbeitsplatz und fehlende Struktur führen zu Ablenkung, Konzentrationsschwierigkeiten, Demotivation, Rückenschmerzen... Auch die Work-Life-Balance gerät bei all der neu gewonnenen Freiheit ins Wanken. Einigen Mitarbeiter*innen fällt es schwer, morgens überhaupt in den Workflow zu kommen. Andere wiederum können abends kein Ende finden. Hinzu kommt die aktuelle Situation: Social Distancing, ständig neue Hiobs-Botschaften und die drohenden wirtschaftlichen Einbußen...
Diese enorme psychische Belastung wirkt sich negativ auf unser Erleben und Verhalten aus. Auch langjährige Homeoffice-Erfahrene stoßen deshalb im Moment an ihre Grenzen.
myCompetence: Ist Homeoffice für jeden geeignet?
Ich würde sagen: Nicht für jeden – auch wenn ich weiß, dass viele Mitarbeiter*innen sich mehr Flexibilität im Arbeitsalltag durch Homeoffice wünschen. Arbeiten im Homeoffice kann für mehr Produktivität und Zufriedenheit sorgen – das belegen Studien ganz klar.
Aber eben nicht jeder kommt zuhause gut in den Flow. Erst recht nicht, wenn man ganz plötzlich von heute auf morgen ins Homeoffice abkommandiert wurde. Dass Mitarbeiter*innen sich damit schwertun, zeigt unsere aktuelle Umfrage von rund 2.500 Beschäftigen im Homeoffice, die Civey im Auftrag von TÜV Rheinland durchgeführt hat. Das Ergebnis macht deutlich, dass es nicht nur „Typsache“ ist, ob Remote-Work zu mir passt. Auch andere Faktoren spielen eine entscheidende Rolle. So fällt es insbesondere Jüngeren in der aktuellen Situation schwer, effektiv von zuhause aus zu arbeiten. Auch der Faktor Familie stellt eine große Herausforderung dar.
myCompetence: Wovon hängt der Erfolg von Homeoffice maßgeblich ab? Hast Du bestimmte Tipps für uns?
Zum Glück auch von Faktoren, die wir selbst gut beeinflussen können. Und das fängt schon morgens an, wenn der Wecker klingelt. Eine wichtige Empfehlung, die ich Mitarbeiter*innen gebe ist: Etablieren Sie eine feste Arbeitsroutine. Dabei können vor allem kleine Gewohnheiten Großes bewirken. Zum Beispiel hilft uns der Wechsel des Schlafanzugs mit Alltagskleidung, eine feste Uhrzeit für Beginn und Ende des Arbeitstages und regelmäßige Pausen dabei, den Arbeitsmodus einzulegen und aufrechtzuerhalten.
Auch die Tipps aus dem Leitfaden für ein erfolgreiches Homeoffice finde ich sehr hilfreich.
myCompetence: Also mehr Pausen im Homeoffice als sonst?
Ja – unbedingt! Und zwar fest eingeplant. Denn wer in Remote-Work arbeitet, macht Studien zufolge durchschnittlich weniger Pausen. Am besten erinnern Sie sich deshalb immer wieder durch ein Signal daran, regelmäßig Pausen einzulegen.
myCompetence: Wie sieht die ideale Pausengestaltung aus?
Ich empfehle eine Stunde Mittagspause sowie regelmäßige kurze Mikro-Pausen über den Tag verteilt. Als Achtsamkeitsforscherin konnte ich belegen, dass bereits kleine Achtsamkeitspausen dazu führen, sich vom Stress zu erholen und die Energiespeicher wieder aufzutanken.
Achtsamkeit im Alltag zu integrieren, ist ganz einfach. Es gelingt, indem wir uns voll auf ganz auf das konzentrieren, was wir gerade tun – in diesem Moment. Das kann der ganz bewusste Gang vom neuen Arbeitsplatz in die Küche sein, um sich einen Kaffee zuzubereiten. Oder eine kurze Pause auf dem Balkon, in der man die Augen schließt und für ein paar Minuten die Sonnenstrahlen genießt. Wichtig dabei ist, sich von den Gedanken zu lösen, die ständig in unserem Kopf kreisen und stattdessen nur im Hier und Jetzt zu sein.
myCompetence: Was sind im Moment die größten Risiken/Herausforderungen für das Teamwork während des Homeoffice? Was ist jetzt besonders wichtig?
Die größte Herausforderung für unerfahrene Remote-Teams besteht darin, neue Wege der Zusammenarbeit zu finden. Homeoffice erschwert zunächst die Kommunikation im Team. Nicht jeder ist zur gleichen Zeit verfügbar. Und Informationen können nicht mehr auf kurzem Weg ausgetauscht werden. Immer dann besteht die Gefahr, dass Konflikte entstehen oder das Ziel aus den Augen gerät.
Um dem entgegenzuwirken braucht es klare Absprachen, wer wann erreichbar ist. Auch Arbeitsprozesse und Verantwortlichkeiten müssen klar definiert sein. Dies schafft Struktur, Orientierung und Sicherheit. Virtuelle Team-Meetings sind das Mittel der Wahl, um nicht in der E-Mail-Flut zu ersticken.
Doch auch dies stellt viele Teams derzeit vor echte Herausforderungen: Es hakt häufig schon am Equipment am heimischen Arbeitsplatz wie z.B. geeigneten Tools, Headsets... Und auch an der Kompetenz, mit den digitalen Medien umzugehen. Daraus können schnell Frust und Demotivation bei einzelnen Team-Mitgliedern entstehen.
myCompetence: Welche Chancen siehst Du für das Team?
Ich bin sehr beeindruckt davon, wie agil und digital Teams nun agieren - und zwar über alle Branchen hinweg. Und ich beobachte, dass Teams sich gemeinsam weiterentwickeln. Ganz nach dem Motto: Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Prozesse werden agiler und feste Strukturen werden aufgeweicht.
Auch die Rollen im Team werden neu verteilt und es entsteht ein neues WIR-Gefühl. Dies führt zu großartigen Synergieeffekten, positive Energie wird frei und das hat auch langfristige Folgen: Nicht nur auf das Selbstbewusstsein einzelner und das Klima im Team – sondern auch für das gesamte Unternehmen! Denn diese Veränderungen stoßen automatisch auch Prozesse auf Organisationsebene an: Die Art zu Führen verändert sich, das System wächst enger zusammen und mitunter entsteht sogar eine ganz neue Vision.
myCompetence: Was wird sich nach der aktuellen Krise im Umgang mit dem Thema Homeoffice ändern? Wie wird es sich auf unsere starke Präsenzkultur auswirken?
Die im Rahmen der Krise beschlossenen Schutzmaßnahmen haben die digitale Transformation branchenübergreifend einen großen Schritt vorangebracht. Ich bin mir sicher, dass dies sich zukünftig auch auf die Präsenzkultur auswirken wird. Vorbehalte der Führungsebene, wonach im Homeoffice weniger Leistung gebracht werde oder Prozesssteuerung und Teamarbeit nur schwer möglich seien, können durch die neuen Erfahrungen ausgeräumt werden. Doch auch auf Mitarbeiterseite kommt eine wichtige Erkenntnis hinzu: Arbeit im Homeoffice hat seine ganz eigenen Herausforderungen.
Die Psychologin Stefanie Nüßlein arbeitet als Managementberaterin und Trainerin bei der AMD TÜV Arbeitsmedizinische Dienste GmbH von TÜV Rheinland. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sowie die Beratung von Führungskräften und Mitarbeiter*innen. Sie hat mit ihrem Team der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie den Impulsletter #gemeinsamdurchdiekrise ins Leben gerufen, um Mitarbeiter*innen mit hilfreichen psychologischen Impulsen bestmöglich durch die Corona-Krise zu begleiten.